Die verschiedenen Kleider der Prinzessin
- Nicole Grossen
- 20. Aug. 2019
- 2 Min. Lesezeit
August 2019
Ich habe da so eine kleine Prinzessin in mir - eine kleine Kindprinzessin. Sie kommt immer zum Vorschein, wenn es mir schlecht geht und ich etwas bräuchte. Das sieht dann zum Beispiel so aus:
Ich sitze weinend in der Küche. Ich bräuchte jemanden zum Festhalten, denn wenn man so fest weinen muss, will man nicht alleine sein, das ist ja klar!
Was jetzt passiert ist, dass ich immer wieder verzweifelt zur Tür schaue, in der Hoffnung, der rettende Prinz käme auf seinem wunderschönen Pferd heran galoppiert, um mich aus diesem Elend zu retten.
Nun, diese Prinzessin kenne ich schon ein Weilchen. Auch weiss ich, dass der rettende Prinz nicht kommen wird. Im Gegenteil, mit dem Warten wird das Elend und die Isolation nur schlimmer. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich mir die gewünschte Umarmung holen und in dieser Umarmung loslassen und den Schmerz ganz fühlen kann und dann - Ja! Dann steht der Prinz vor mir - auch wenn das dann manchmal eine Frau ist.
Zu meiner grossen Überraschung kommt die Prinzessin aber nicht nur in diesem Kleid. Per Zufall habe ich vor Kurzem herausgefunden, dass sie bei folgender Situation auch auftritt:
Meine äussere Ordnung passte sich, seit ich denken kann, an meinen inneren Gemütszustand an. Ging es mir gut und hatte Energie, so war alles sauber und aufgeräumt. Das ging dann auch meistens ganz schnell, bis alles wieder aufgeräumt war.
Wenn es mir nicht gut ging, liess ich mich und somit alles um mich herum gehen. Das Haus wurde zu einem grossen, schmutzigen und unordentlichen Raum. Bereits der Gedanke daran, etwas die Treppe hochzutragen, um es zu versorgen, raubte mir so viel Energie, dass es schlicht nicht möglich war.
Ich entschuldigte meine Unordnung immer mit meinem Gemütszustand - denn am Willen, Ordnung zu halten, lag es nicht, es ging einfach nicht!
Nun, die Prinzessin war hier etwas subtiler am Werk. Wir haben herausgefunden, dass die Unordnung ein Hilfeschrei ist. Ein Hilfeschrei der sagt:“Schau wie schlecht es mir geht. Wenn du es nicht an mir merkst, dann bemerke doch bitte meine Unordnung!“
Das Prinzessinenmuster ist aber auch hier dasselbe. Ich möchte errettet werden, um nicht hinstehen und der Welt mitteilen zu müssen, dass es mir schlecht geht und ich Hilfe brauche. Wenn ich für mich einstehe, hinaustrete und der Welt mitteile würde, wie es mir geht, so nähme ich mich und meine Bedürfnisse ernst und ganz zu mir. Dabei müsste ich aber auch den Schmerz zulassen, falls die Bedürfnisse nicht befriedigt würden.
Die Prinzessin hofft auf ihre kindlich, naive Weise, dass sie vor diesem möglichen Schmerz bewahrt werden kann und ihn somit nie mehr fühlen muss, wenn nur der Prinz vorbei reiten und sie mitnehmen würde.
Taucht meine Prinzessin auf, so weiss ich, dass da ein Bedürfnis ist. Ein Bedürfnis nach Kontakt, nicht alleine zu sein und gesehen zu werden. Ich habe nicht gelernt, meine Bedürfnisse zu formulieren, für meine Bedürfnisse einzustehen und unter Umständen sogar das zu holen, was ich brauche: eine Umarmung, ein Gespräch oder Hilfe.
So allmählich lerne ich es. Jedes Hinaustreten ist ein grosser Schritt, der vorher mit vielen Kämpfen verbunden war. Aber der Kampf lohnt sich. Denn jedesmal wenn ich es mache, holt mich das aus meinem Traum heraus ins Leben.
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